Verschwundene Orte – Die Töpferei Willems in Speicher
Mit 2014 neigt sich ein Jahr der Rückblicke dem Ende zu. Und auch ich habe etwas, an das ich erinnern möchte:
Vor 25 Jahren, am 1. September 1989, begann ich meine Töpferlehre in der Töpferei Willems in Speicher in der Eifel. Eine Töpferei, die etwas Außergewöhnliches bewahrte und die es heute, sehr bedauerlicherweise, nicht mehr gibt. Das Außergewöhnliche an dieser Töpferei war der Brand der Keramik in einem 48 Kubikmeter großen holzbefeuerten Brennofen, einem traditionellen sogenannten Kannenofen, schon Ende der 80er in Deutschland ein absoluter Anachronismus.
Auf dem obigen Bild sehen Sie in der Mitte, hinter der mit Keramik beladenen Karre, den Eingang zum Brennraum, das drumherum errichtete Gebäude diente zum einen zum Schutz des eigentlichen Brennofens, außerdem beherbergte der Anbau links die Brennhilfsmittel, von denen man sehr, sehr viele brauchte.
Hergestellt wurde in der Töpferei Willems traditionelles salzglasiertes Steinzeug. Bei diesem Keramiktypus wird die Glasur durch in den Ofen eingestreutes Kochsalz (NaCl) erzeugt. Bei Steinzeugtemperaturen von über 1250°C reagiert das Natrium aus dem Kochsalz mit der Oberfläche der Keramik und bildet die Glasur. Ein Verfahren, das seit dem Spätmittelalter bekannt ist. Auch heute noch wird salzglasiertes Steinzeug produziert, vor allem im Westerwald. Allerdings arbeiten die heutigen Werkstätten praktisch alle mit Gasöfen, diese sind viel einfacher zu handhaben, kleiner, wirtschaftlicher und mit planbarerem Ergebnis.
Doch in Speicher wurde wie schon seit Jahrhunderten fast jeden Monat der alte Kannenofen gefüllt. Allein das Einsetzen der Keramik in den Ofen dauerte ca. eine Woche. Es war aber auch eine gewaltige Menge, zu dieser Zeit arbeiteten in der Töpferei allerdings auch ständig mindestens 10 Personen. Die Töpfe, Krüge, Schüsseln usw. wurden in Reihen aufgebaut, nicht stapelbare Formen wie z.B. Enghalskrüge kamen zu diesem Zweck in zylindrische, gelochte Töpfe (gelocht, damit der Glasuranflug die Ware erreichen konnte). Diese Töpfe wurden nur zu diesem Zweck produziert, sie waren zwar wiederverwendbar, aber spätestens nach drei Bränden nicht mehr brauchbar. Außerdem musste jede einzelne Keramik auf einer in Sand gewälzten Unterlage stehen.
Da die Salzglasur außnahmslos alles in einem Ofen überzieht, ist dies die einzige Möglichkeit, die einzelnen Keramiken nach dem Brand wieder voneinander trennen zu können. Eigentlich waren zwei bis drei Arbeitskräfte dauerhaft mit nichts anderem beschäftigt, als Brennhilfsmittel herzustellen, den Ofen zu befüllen und den Brand durchzuführen.
Auf diesem Foto kann man ganz unten erkennen, dass der Boden des Brennofens Spalten hatte. Durch diese Spalten zog die Hitze aus der darunterliegenden Feuerung in den Ofenraum.
Die Feuerung war ein sich unter der gesamten Ofenlänge durchziehendes Gewölbe mit drei Feueröffnungen, durch die Holz und Kohlen eingeworfen wurden. Mehrere Zentner Kohlen zu Anfang des Brandes, um langsam hochzuheizen. Dann wurde mit Holz fortgefahren, mindestens 20 Raummeter verschlang ein Brand, dieser dauerte ca. drei Tage. In der den letzten Stunden eines Brandes mussten zum Erreichen und Halten der Temperatur jede Viertelstunde in jede der drei Feueröffnungen 20 bis 25 Stück einen Meter lange Holzscheite geworfen werden. Einer reichte das Holz an, der Nachleger an der Feuerung war großer Hitze ausgesetzt. Es war wichtig, sich gut gegen die Hitze zu vermummen, sonst konnte man von der Hitzestrahlung Verbrennungen erleiden.
Normalerweise wurde ein Brand zeitlich so gelegt, dass die Endtemperatur in der Nacht erreicht wurde. Denn natürlich entstand auch jede Menge Qualm und mit der Zeit war der Ort um die Töpferei herumgewachsen. Klar, der Qualm war für die Nachbarn nicht so toll, aber die Töpferei war nunmal zuerst da. Der Temperaturanstieg eines Ofens mit Feuerung ist auch wetterabhängig (das merke ich sogar bei meinem kleinen Rakuofen), also ließ es sich von Zeit zu Zeit nicht vermeiden, dass die Endphase schon nachmittags oder am frühen Abend erreicht wurde.
Das Tor auf der linken Seite, dort war der Zugang zu den Feueröffnungen. Das hinten aufragende Gebäude ist das Ofenhaus. Man kann gut sehen, wie beim Bau des Ofens Jahrhunderte zuvor die natürliche Steigung des Geländes genutzt wurde.
Um den Fortgang des Brandes zu beurteilen, halfen Segerkegel, die durch ein Schauloch beobachtet wurden. Segerkegel werden bei einer bestimmten Brenntemperatur weich, an ihnen kann man sehr gut den Fortgang eines Brandes ablesen. Bei einem Ofen dieser Größe waren aber die Beurteilung der Glutfarbe sowie die Entnahme von Probescherben viel wichtiger, um die Verhältnisse im Ofeninnern abzuschätzen.
Und sehr, sehr viel Erfahrung!
Dort, wo auf diesem Bild die Flammen herausschlagen, befanden sich mit Platten abgedeckte Öffnungen. Wenn die Endtemperatur von ca. 1250°C erreicht war, wurde durch diese Öffnungen das Salz in den Ofen geschaufelt.
Dies ist kein Mitglied des Ku-Klux-Klans, sondern ein Kollege, der sich gegen Hitze, Qualm und Clorgas vermummt hat. Denn er musste zwei Mal zum Salzschaufeln auf die den Ofen umgebende Galerie, wo ein ziemliches Inferno herrschte. Diese Schutzmaßnahmen würde man heute vielleicht doch etwas professioneller gestalten…
Doch trotz allem, Hitze, Rauch, gefährliche Abgase, Müdigkeit: Jeder Brand war ein unglaubliches Erlebnis!
Die meterlangen Flammen, die aus dem Ofen schlugen, fantastisch. Und für mich persönlich ist es vor allem das gewaltige Brausen des Feuers, das ich nie vergessen werde!
Nach Abschluss des Brandes hieß es warten.
Ein ganze Woche verging, bis der Ofen soweit abgekühlt war, dass er geöffnet und betreten werden konnte. Wenn alles gut verlaufen war, zeigte sich nach Aufbruch des vermauerten Ofeneingangs folgendes Bild.
Dann schleppten vier, fünf Leute einen Tag lang waschkörbeweise Keramik aus dem Ofen.
Irgendwie gab es das alles, wie die mit 80 Jahren immer noch im Betrieb mitarbeitende Seniorchefin zu sagen pflegte *schon immer*. Für Speicher umfasste *schon immer* einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren. Denn schon Kelten und Römer produzierten dort Keramik.
Während meiner Ausbildung in der Töpferei Willems wurde mir mit der Zeit schon bewusst, dass ich da an einem ganz besonderen Ort gelandet war. Keramik auf diese Weise zu brennen, das wurde sich anderswo *nicht mehr angetan*. Die Inhaber selber empfanden es eher als altmodisch, aber *es war halt so*. Es war anstrengend, wirtschaftlich risikoreich (je nach Brand wurde viel Ausschuß produziert), ineffizient. Aber es war nunmal vermutlich zumindest in Westdeutschland (das war noch vor der Wiedervereinigung) die letzte auf diese Art brennende Werkstatt und dies nicht als besonderes Event, sondern als Alltagsgeschäft. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass dieses Kulturzeugnis nicht bewahrt wird.
Doch es kam anders. Die Töpferei musste einige Jahre später schließen. Ich war der letzte Lehrling, der dort ausgebildet wurde. Zwar wurde das Ofengebäude unter Denkmalschutz gestellt, doch die Gemeinde Speicher sah anscheinend keinen Wert in dem ihr nun gehörenden Kulturgut. Da das Gebäude nicht saniert oder zumindest gesichert wurde, war es nach ein paar Jahren baufällig und durfte daher, trotz Denkmalschutz, abgerissen werden. Das war’s dann mit *schon immer*…
Sehr traurig und mir komplett unverständlich!
Dass ich dem alten Töpferofen in Speicher zumindest virtuell mal ein Denkmal setzen würde, konnte ich an meinem ersten Arbeitstag, an dem dieses Foto aufgenommen wurde, noch nicht ahnen. :-)
Ich schaue ja recht skeptisch drein: Wie würde das werden mit der Ausbildung, ist das der richtige Beruf für mich… Da bin ich heute klüger: Ja!
Und auch wenn mein 200l Raku Brennofen dem Vergleich mit dem Speicherer Salzbrandofen natürlich nicht standhalten kann, habe ich mir zumindest ein bisschen Pyromanentum erhalten können. :-)
Es gibt übrigens auch heute Werkstätten, die Keramik im Holzbrand herstellen. Diese haben sich aus gestalterischen Gründen ganz bewusst dafür entschieden, Holzbrand erzeugt Oberflächen, die man eben nur mit diesem Brennstoff so hinbekommt. Und die meisten Holzbrandöfen sind im Vergleich mit den gebräuchlichen Elektro-Keramikbrennöfen viel, viel größer. Wenn wohl auch wahrscheinlich kein Ofen in Deutschland die gigantische Größe des Speicherer Töpferofens hat.